I
Am 1.1.1994 begann die EZLN den bewaffneten Aufstand gegen die NAFTA. Die Bilder gingen um die Welt; die mit Dritter-Welt-Solidarität befasste Szene verzeichnete begeistert einen Zugang im Kreise der kräftig ausgedünnten nationalen Befreiungsbewegungen und die bürgerliche Öffentlichkeit zeigte sich erfreut, dass es relativ friedlich abgegangen war und genoss zur Tasse ökologisch angebauten Kaffees die blumigen Ansprachen des Subkommandante Marcos. Die lange Vorarbeit war endlich von Erfolg gekrönt. Schon in den siebziger Jahren hatten sich maoistische Studenten aufs Land begeben, um zusammen mit den dortigen Bauern eine Revolution nach der andren anzuzetteln. Nachdem die Guerillagruppen zehn Jahre durch den Urwald gestreift waren, nur mäßigen Rückhalt beim Volk fanden und sich vom Militär und Polizei verfolgt sahen, traten die Überlebenden den Rückweg an: vom Land wieder in die Stadt und die Horizonte blieben getrennt. Nicht alle freilich hatten aufgegeben! Einige unverdrossene gründeten 1983 die zapatistische Bewegung zur nationalen Befreiung (EZLN) um fürderhin ohne ein die Indigenas bevormundendes Programm bewaffneter Arm der sozialen Befreiungsbewegungen zu sein.
Ziel der nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA)
ist ein gemeinsamer Markt Kanadas, der USA und Mexikos. Der 1992 geschlossene
Vertrag trat zum Jahresbeginn 1994 in Kraft und sollte in den folgenden 15
Jahren die Zolltarife nach und nach beseitigen. Freizügigkeit der Arbeitnehmer
war damit nicht gemeint, Mexikaner können offiziell nicht in den USA arbeiten,
und wenn sie die Einreise über Betonmauern, Flüsse und Stacheldraht dennoch
schaffen, können sie nur illegal beschäftigt werden zu Niedrigstlöhnen und ohne gesetzliche Absicherung. In Mexiko
hat die NAFTA vor allem zur Ausbreitung sogenannter Maquilas an der Grenze zu
den USA geführt: freien Produktionszonen, ohne Zölle und Arbeitsgesetze. Die
Maquilas sind zum größten Teil verantwortlich für den Zuwachs an mexikanischen
Exporten, die zu 85% in die USA gehen. In Chiapas hat das Abkommen die
agrarischen Großgrundbesitzer begünstigt, die für den Export bestimmten Kaffee
anbauen. Aber das Fleckchen Armut im äußersten Süden Mexikos soll nicht ewig in
seinem provinziellem Dasein verharren. Im Zuge der Erweiterung der NAFTA zu
einer gesamtamerikanischen Freihandelszone ist eine atlantisch-pazifische Verkehrsverbindung
geplant (›Plan Pueblo Panama‹), die dem Panamakanal Konkurrenz machen soll. Ein
solches Programm setzt eine moderne, effiziente Infrastruktur voraus und kann
autonome, von den Indigenas selbstverwaltete Gebiete gar nicht brauchen.
Nach dem Aufstand der
Zapatisten ließ die militärische Reaktion nicht lange auf sich warten. Wegen
der nationalen und internationalen Solidarität wurde aber die militärische
Offensive bald wieder abgebrochen. Diese Solidarität hat ein Umdenken in der
zapatistischen Politik notwendig gemacht. Wie der berüchtigte Marcos zugegeben
hat (1), hatte die EZLN gar keinen über den Aufstand hinausgehenden Plan. »Wir
sind über die Welt hereingebrochen, und die Welt war nicht so, wie wir es
erwartet hatten.« Den Vormarsch der Armee und damit das Ende des Aufstands
konnten nur durch die breite Solidaritätsbewegung verhindert werden. Die war
aber nicht umsonst zu haben, sondern nur um den Preis der Zivilgesellschaft.
Und die will gepflegt werden. Das zeigen nicht nur die Kommuniques der EZLN,
die genau für die jeweilige Zielgruppe abgestimmt werden (mexikanischer
Unternehmer, Bauern in Chiapas oder europäische Solidaritätskomitees), das
zeigt auch die meist ganz im taktischen aufgehende Öffentlichkeitsarbeit der
EZLN, in der viel die Rede ist von Mexiko, Vaterland (von den
Solidaritätskomitees meist schamhaft mit ›patria‹ übersetzt) und dem Wunsch
dazuzugehören. »Es darf nie wieder ein Mexiko ohne uns geben!« (3) Auch
die Geschichte will man sich wieder aneignen – das heißt man will für das
ideologische Wohlbefinden sorgen und auf das materielle verzichten: »Das
neoliberale Projekt verlangt diese Internationalisierung der Geschichte, es
verlangt die Auslöschung der nationalen Geschichte, es verlangt die Auslöschung
der kulturellen Grenzen … dass für das Finanzkapital nichts existiert, nicht
einmal Vaterland oder Besitz. Das Finanzkapital besitzt ausschließlich Zahlen
auf Bankkonten. Und in diesem Spiel wird das Konzept der Nation ausgelöscht.
Daher muss ein revolutionärer Prozess ansetzten bei der Wiedererlangung des
Konzepts der Nation und des Vaterlands.« (5, 150)
Die Erfordernisse, um die
Zivilgesellschaft zu werben, führen daher dazu, die Ziele fortwährend zu
relativieren. Freilich könnte man einwenden, damit täte man der EZLN zuviel der
Ehre und die Radikalität sei nur rhetorisch gewesen, daher auch ihre
›Zurücknahme‹ eine sehr relative Sache. Tatsache ist aber, dass die EZLN in den
ersten Tagen ihres Aufstandes noch von einer Erhebung des ganzen Volkes und
einem Umstürzen der Verhältnisse sprach, was jetzt, unter Beistimmung Marcos’,
von sympathisierenden Reportern als ›delirierend‹ bezeichnet wird (1).
Aus diesem Bedürfnis nach
Zivilgesellschaft ist es auch zu verstehen, warum die EZLN Stellung bezieht für
die klerikal-konservative Partei des neuen Präsidenten. Fox gibt sich wohl
pragmatisch und im mordernsten Sinne reformistisch, aber mehr als nur ein paar
Ewiggestrige in seinen Reihen träumen von einer gesellschaftlichen
Restauration. Mexiko hat eine lange säkulare Tradition. Die PRI, bzw. ihre
Vorläuferpartei, ist gegründet worden, um die verschiedenen Gruppen des Landes
zu Wort kommen zu lassen, natürlich ganz parlamentarisch-demokratisch den
Arbeitern, Bauern und als dritte Gruppe dem Militär Einflussnahme auf die
Politik zu erlauben – ohne dabei allerdings die klerikalen und
konservativen Gruppen mit aufzunehmen. (Daraus wurde bald ein
Herrschaftsinstrument, das die Massen in Arbeiter und Bauern
auseinanderdividierte und statt ihrer direkten politischen Einflussnahme nur
noch die durch die Partei vermittelte zuließ.) Die PAN (Partido Acción
Nacional) stellt das konservative Element dar, diejenigen also die die
Revolution von 1917 und schon im Jahrhundert davor jede Trennung von Staat und
Kirche bekämpften. War die Religiosität der Massen fast überwunden geglaubt,
erfährt sie im modernen Mexiko eine Renaissance. Damit steht Mexiko nicht
allein, und verwunderlich ist das schon gar nicht: Wenn die par zaghaften
Versprechungen auf ein Leben, in dem man so halbwegs das bekommt, was man zum
Leben braucht, der weltmarktfähigen Zurichtung Mexikos und seiner Bevölkerung
zum Opfer fallen, die herrschende Produktionsweise aber gleichzeitig
naturgesetzlich und unausweichlich ist, dann müssen die Leute umdenken: Dass
der Staat zwischen den Wünschen der einzelnen Interessengruppen vermittelt –
das darf nicht mehr sein. Weil es nur noch Mexikaner gibt, müssen sich die
Leute zum Wohl der Nation einbringen, die Sache der Nation zur eigenen
machen und alles darauf abklopfen, ob es dienlich für Ökonomie und Gesellschaft
ist – und damit unterscheiden sie sich nicht groß von den Leuten hierzulande,
haben bloß geringere Erfolgsaussichten – oder sie reimen sich zusammen, wie sie
zu ihrem wahren Lohn kommen und wo ihnen Gerechtigkeit widerfährt – zu Lebzeiten
nämlich nicht. Beide Einstellungen lassen sich verbinden. Vicente Fox passt gut
in dieses Klima. Anders als es der pragmatische Schein glauben macht, den die
Medien immer so bewundert haben, musste der Präsidentschaftskandidat mehrmals
aus den eigenen Reihen zurückgepfiffen werden, weil sein Auftreten in der
Öffentlichkeit zu reaktionär wirkte: Dass er das Banner der Jungfrau von
Guadalupe früh zu seinem Wahrzeichen erkoren hatte, erschien den
Wahlkampfstrategen seiner Partei wenig publikumsträchtig – war man doch auf den
erst 1988 in die Politik eingestiegenen Fox gerade darum verfallen, weil nicht
den von den PAN gewohnten klerikalen Mief ausstrahlte. Aus dem gleichen Grund
stieß auch seine Begeisterung für die cristeros, eine katholische
Widerstandsgruppe, die in den Zwanzigern gegen die Revolution kämpfte oder sein
Versprechen, die Trennung von Staat und Kirche aufzuheben und
Religionsunterricht an Schulen, Rundfunkkanäle für die Kirche und der gleichen
mehr, auf wenig Begeisterung. Das waren nicht die Reformen, die man für
besonders dringlich achtete. Wenn die Kräfteverhältnisse stimmen, mochten sie
nach den Wahlen in Angriff genommen werden. Im Bundesstaat Guanajuato hat es
schon für ein Verbot von Abtreibungen gereicht. Und dass seine neue Regierung
einen General als Staatsanwalt und einen Funktionär des Arbeitgeberverbands als
Arbeitsminister hat, ist nicht gerade abwegig, wird aber die Hoffnungen, die
gerade auch Linke in den Regierungswechsel setzten, arg enttäuscht haben.
Übrigens war die Politik der PRI nicht weniger auf das Wohl der Nation
ausgerichtet. Doch kannte diese alte, traditionell sozialdemokratisch
genannte Politik noch etwas andres als die Nation. Wer dem Wohl der Nation nicht dienlich war, wie z.B. die
Indigenen, kam in den Interessengruppen aber gar nicht vor. Kein Wunder, dass
sich die Zapatisten einig sind mit Vincente Fox, statt den Interessen einzelner
Gruppen nur mehr das Wohl der Nation zuzulassen, in dem alle ihre Untertanen
aufgehoben sind.
Praktisch hat das Lavieren
und das Relativieren jedweder Ziele nicht mal Erfolg gehabt. Die Zapatisten
befinden sich, gerade nach ihrem publikumswirksamen Marsch auf Mexiko City
überall in der Defensive. Den von der Geradlinigkeit des edlen Wilden
beeindruckten Solidaritätskomitees beeindruckt die neue Art Politik zu machen
und sich nicht in politischen Verhandlungen zu verschleißen, sondern notfalls
mit dem Schweigen des Dschungels zu antworten. Praktisch drückt sich das dann
dadurch aus, dass die Schließung von sieben Militärcamps gefordert wird, weil
die Zahl sieben für die Zapatisten eine symbolische Bedeutung habe. Davon, dass
auf die Änderung der (Produktions-) Verhältnisse gedrungen wird, denen die
Menschen unterworfen sind, kann allerdings keine Rede sein, geschweige denn,
dass diese Forderung mit Nachdruck vertreten würde.
Und auf dem Parkett der parlamentarischen Demokratie
ist die Selbstinszenierung, die für die Unterstützung der ›Zivilgesellschaft‹
sorgen soll, eine tückische Sache. Weil Politik nicht mehr nur von der bösen
PRI gemacht wird, sondern ohnehin schon aus lauter Verhandlungen der Guten mit
den Schlechten (im Sinne der Zivilgesellschaft) besteht, können die Zapatisten
schnell von geradlinigen Anti-Politikern zu Starrköpfen und einem Hindernis auf
dem Weg zur Lösung des Indianerproblems mutieren. (Das hat seinen Grund darin,
dass die üblichen und oft geschmähten Kompromisse nicht der charakterlichen
Schwäche der Politiker geschuldet sind, sondern dem demokratischen System zum
Wohle der Nation.) Demgemäss reagiert die Zivilgesellschaft ungehalten auf die
Weigerung der Zapatisten, mit einer Abordnung von Parlamentariern zu
verhandeln. Marcos will vielmehr das Gesetz zum Schutze der indigenen Kultur
vor dem ganzen Parlament verteidigen, was ihm die Staatsräson als Vertreter einer
Macht, die ihnen den Krieg erklärt hat, nicht hinnehmen mag (ja, das sind
Kriterien, nach denen der Staat seiner Souveränität wegen handelt.)
Weil sich die Zapatisten grundsätzlich auf eine
parlamentarische Lösung eingelassen haben, kann ihnen die mexikanische
Regierung weit entgegenkommen. Die ganzen Angebote und Zugeständnisse
sind ja nur gemacht worden, unter der Voraussetzung, dass alles seinen
demokratisch-parlamentarischen Gang geht. Sollten die Zapatisten diesen Weg
wieder verlassen, hätten sie, wegen der rein symbolischen Zugeständnisse,
nichts gewonnen, sondern nur die Unterstützung durch die Zivilgesellschaft
verloren. Mit dem Angebot an die Zapatisten, vor einem informellen
Plenum des Parlaments zu sprechen, geht daher der Hinweis einher, dass –
demokratisch gesehen – die Zapatisten keineswegs die Indianer vertreten würden,
das heißt, dass es auch ›vernünftige‹ Indianer gäbe, die mit den ›linken‹
Zapatisten nichts am Hut hätten. (In diesem Zusammenhang ist auch der
zwanghafte Hinweis in jeder Chiapas-Reportage von SZ bis FAZ zu verstehen, auf
die tiefreligiösen Indianer, die einen ›anderen Weg‹ gingen und mit den
Zapatisten nichts zu tun haben möchten.) Die EZLN-Kommandanten durften drei
Stunden im Parlament reden (nicht aber Marcos, der als Subkommandante von
niedrigerem Rang sei und nicht alleine für die EZLN sprechen könne – man
beachte, wie subtil hier dem Personenkult entgegengesteuert wird), doch damit
muss es nun wirklich genug sein. Die Indianer werden nun wirklich respektiert
und sollten nun wieder die Politiker ihre Arbeit machen lassen. Und tatsächlich
hat die EZLN auch schon angekündigt, jetzt nicht mehr zu den Waffen greifen zu
wollen.
In ihrem gekonnten Agieren in der internationalen
Zivilgesellschaft erweist sich die EZLN als Vertreter postmoderner Politik.
Interessengegensätze kommen in dieser Art von Politik gar nicht mehr
vor. Begutachtet wird eine Regierung nur mehr danach wie ›korrupt‹ sie ist, das
heißt nach der Frage, ob und wie viel sich die politische Klasse ihre Arbeit
kosten lässt. Hier wird also ein komisches Urteil gefällt, dass über den Inhalt
staatlicher Herrschaft gar nichts mehr wissen will. Die Kritik an die
Regierung, sie sei korrupt, wirft ihr gar nicht vor, was sie macht, sondern nur
wie sie es macht, legt also an die staatliche Verwaltungen einen Maßstab
an, der dieser ganz fremd ist.
Ganz im Sinne postmoderner
Politik, die nicht mehr auf begründete Veränderung oder Verteidigung der
Gesellschaftsordnung setzt, sondern sich als Wettstreit von Meinungen präsentiert,
die man haben kann oder auch nicht, wird die öffentliche Auseinandersetzung
ganz auf die zwei Personen Marcos und Fox zugespitzt. Die Medien stellen nur
die beiden Personen einander
gegenüber; Fox selbst wendet sich stets nur Marcos persönlich, um mit ihm über
die Probleme der Indianer zu sprechen. Aber auch Marcos ergeht sich in
Beschimpfungen speziell des Präsidenten und trägt damit zu der Personifizierung
der politischen Auseinandersetzung bei, die er sonst ablehnt.
Die EZLN erweist sich also als die den heutigen
Verhältnissen angemessene Opposition. Eine Alternative haben sie aber sowieso
nicht. Mit Ausnahme des Indigena-Kongresses haben sie keine Verbündeten, die
Druck auf die Regierung ausüben könnten. Die Studentenproteste sind im letzten
Jahr versandet, an gewerkschaftlicher Unterstützung ist nichts zu spüren,
militärisch kann die EZLN ihre Stellung nur verteidigen, weil das mexikanische
Militär keine Offensive startet und von anderen Rebellengruppen wollen die
Zapatisten nichts wissen – die würden ja zu altmodisch wirken und an eine alte
Zeit erinnern, in der noch von Klassenkampf die Rede war. »Wir brauchen eure
Unterstützung nicht«, hieß es von Marcos über die EPR, »Was wir brauchen
ist die Unterstützung der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft.«
(5, 162)
II
Die EZLN hat von Anfang an, also schon seit ihrer Gründung in den 80ern, auf klare Ziele verzichtet und sich statt dessen als Armee der sozialen Basisgruppen verstanden. Man wolle nicht die Avantgarde sein, man wolle niemanden beherrschen, ja es sei egal, wer an die Macht komme, Hauptsache, es würden die Forderungen verwirklicht. Was als so bescheiden und human daherkommt, ist in Wirklichkeit keins von beiden. Bescheiden ist die Haltung deswegen nicht, weil sie sich anmaßt, zu entscheiden, was denn nun militärisch vertreten wird. Der Kampf gegen den Kapitalismus ja wohl nicht, eher gegen den Neoliberalismus, Hand in Hand mit den guten mexikanischen Unternehmern (2). Nur die Verantwortung zu ihrem Tun übernehmen sie nicht. Wie deutsche StudentenvertreterInnen gegeben sie sich als bloße Vertreter und Vollstrecker eines ganz anderen Willens aus. Und human ist es aus dem gleichen Grund nicht. Human, mal positiv gemeint, als im Sinne der menschlichen Gemeinschaft, setzt doch voraus, dass ich die Verhältnisse erklärt habe, und dann die fälligen Konsequenzen ziehe. Wenn andere diese Erklärung nicht haben, muss ich mich doch bemühen, sie zu überzeugen (was auch darauf hinauslaufen kann, dass sich meine Erklärung als falsch erweist) und nicht die falsche Praxis der als Betätigungsfeld auserkorenen Unterdrückten, militärisch unterstützen. Aber gerade, weil sie die Gesellschaft nicht umstürzen will, kommt die EZLN so gut an. Eine Kritik an der Gesellschaft ist ihr völlig fremd – darin ist sie ganz postmodern – was sie aber mit dem Mantel der Bescheidenheit bedeckt. Statt dessen klagt sie die Teilhabe ihrer Klientel an der mexikanischen Gesellschaft ein und kritisiert das allseits gehasste internationale Kapital. »Der Neoliberalismus trifft nicht nur die Ärmsten, sondern verdrängte auch wichtige Sektoren der mexikanischen Unternehmer … Die mörderische Gewinnsucht wird in der Sprache der Wirtschaftstheorie ›Neoliberalismus‹ genannt« (2).
Anlass für den Aufstand der ELZN war das nordamerikanische
Freihandelsabkommen und das damit verbundene Ende des mexikanischen
Wohlfahrtsstaates und der auf Klientelismus beruhenden PRI-Politik. Dieser
Ansatzpunkt der ELZN im Kampf gegen den Freihandel und den Neoliberalismus
führte zu einer verkürzten Kapitalismuskritik mit verheerenden Folgen. Die
anscheinend so bescheidene Haltung der ELZN hatte daran großen Anteil. »Uns
verbrüdert eine Weltordnung«, schreibt Marcos in einem Brief an das
europäische Treffen der Solidaritätsgruppen, »die Nationen und Kulturen
zerstört. Der große internationale Kriminelle, das Geld, hat heuten einen
Namen, der die Unfähigkeit der Macht widerspiegelt, neues zu schaffen. Ein
neuer Weltkrieg wird heute erlitten. Es ist ein Krieg gegen alle Völker, gegen
die Menschen, die Kultur, die Geschichte. Es ist ein Krieg, der von einer
Handvoll heimatloser und schamloser Finanzzentren ausgeführt wird.« (5,
162)
Die falsche Kapitalismuskritik ist aber nur die eine
Seite. Die andere ist die öffentliche Wirkung solcher Agitation. Sie unterläuft
nämlich geradezu der taktischen Motivation. Richtig ist, diese Kritik kommt gut
an. Indem er aber von seiner geliebten Zivilgesellschaft als scharfer Kritiker
des ungezähmten globalen Kapitalismus und »Urheber der ersten symbolischen
Revolte gegen die Globalisierung« (6) gefeiert wird, bleibt nichts von der
gerade erhofften konkreten Veränderung der Lebensumstände betroffener Menschen
sondern nur das abstrakt empfundene Unbehagen mit der ›Globalisierung‹. So
schlägt die Angst vor dem Abstrakten in eine falsche Abstraktion um. »Die
großen Gewinner des Kalten Kriegs,« meint Marcos, »der als Dritter
Weltkrieg gelten kann, sind die Vereinigten Staaten, doch unmittelbar über
dieser Hegemonialmacht zeichnet sich ab, was man als Finanz-Supermacht bezeichnen
könnte, eine Macht, die nun beginnt, aller Welt Befehle zu erteilen. … Die
große Schlacht, die derzeit geschlagen wird - und die man als Vierten Weltkrieg
bezeichnen könnte - sieht auf der einen Seite die Verfechter der Globalisierung
und auf der anderen Seite all jene, die diese Entwicklung auf die eine oder
andere Weise aufhalten wollen. Heute ist alles, was sich der Globalisierung in
den Weg stellt, von Vernichtung bedroht.« (6)
Wichtiger Bestandteil der ELZN-Politik war von Anfang
an, gegen die rassistische Ausgrenzung indigener Gruppen zu kämpfen. »Unser
Hauptziel ist die Anerkennung der indigenen Völker als kollektives
Rechtssubjekt durch das mexikanische Parlament. Der Staat soll eingestehen,
dass Mexiko aus verschiedenen Völkern besteht. Dass diese indigenen Völker ihre
eigenen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Organisationsformen haben. …
Wir wollen die Anerkennung der Rechte eines bedeutenden Teils der mexikanischen
Gesellschaft, eines Teils, der seine eigenen Organisationsformen besitzt und
der verlangt, dass diese Formen als legitim akzeptiert werden.« (6) Mit dem
antirassistischen Kampf war auch die Tendenz zur ethnischen Orientierung
gegeben. Zwar wurde dieser Tendenz – vor allem in Kommuniques gegenüber
europäischen Soligruppen – versucht entgegenzuwirken. Dennoch ist der positive
Bezug zur Nation unverkennbar. Die öffentlichen Stellungnahmen fordern Mexiko
auf, die Indigenas als Bestandteil zu akzeptieren. »Mexiko: Wir sind nicht
gekommen, um dir zu sagen, was zu tun ist, oder um dich auf den rechten Weg zu
führen. Wir sind gekommen, um dich bescheiden und respektvoll um Hilfe zu
bitten. Dass du nicht noch einen Tag heranbrechen lässt, ohne dass diese Fahne
einen ehrenhaften Platz für uns bietet, die wir von der Farbe der Erde sind.«
(4)
Das lässt sich nicht einfach als taktischer Schachzug
abtun. Auch als solcher ist er nicht gerechtfertigt (s.o.). Nicht nur die
Rhetorik, auch die Forderungen der Zapatisten weisen genau in diese Richtung:
Durch das in das Parlament eingebrachte Gesetz geht es darum, den Indigenen
Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. »Und wir wollen als Bürger anerkannt
werden wie alle anderen auch, wir wollen ein Teil Mexikos sein, ohne unsere
Eigenheiten zu verlieren, ohne unsere Kultur aufgeben zu müssen, kurz: ohne auf
unsere Existenz als Indigene zu verzichten.« (6) Selbst wenn das klappt,
wird sich danach nicht mit einem Mal Gesellschaftskritik aus dem Hut zaubern
lassen.
Weil der Kampf gegen den Rassismus, so wie die
Zapatisten ihn verstehen, sich nicht gegen das richtet, was ihn nötig macht,
sondern bloß Folgen der bürgerlichen Gesellschaft bekämpft, ist dieser Kampf
für allerlei Zwecke instrumentalisierbar und gefundenes Fressen für solche, die
sich gewohnheitsmäßig oder gelegentlich mit der Einflussnahme auf
Gesellschaften und Staaten befassen. Der Aufstand der Zapatisten passt daher
auch wunderbar ins Raster derer, die sich das Selbstbestimmungsrecht der Völker
auf die Fahnen geschrieben haben. So konnte die Friedensnobelpreisträgerin und
Maya-Aktivistin Rigoberta Menchu auf einer Veranstaltung der
Konrad-Adenauer-Stiftung nicht nur hübsch Danke sagen für die europäische
Entwicklungshilfe, sondern auch Marcos loben als einen, der »auf die
Probleme der indianischen Landbevölkerung aufmerksam« (ap, 15.3.2001) gemacht
habe.
Mit dem Kampf gegen den Rassismus ging aber auch
bereits eine Anerkennung der Gesellschaft einher, die sich im Rassismus bloß
äußert. »Die edle Nation Mexiko ruht auf unseren Knochen. Wenn sie uns
zerstören wird das ganze Land zusammenbrechen und richtungslos und wurzellos
umherirren.« (5, 150) Was den Zapatisten als so große Bescheidenheit
angerechnet wird, dass sie keine Gesellschaftsmodelle verkünden, und was ihnen
soviel internationale Solidarität einbringt, weil sich niemand in seiner politischen
Überzeugungen angegriffen fühlt, ist hier tatsächlich ein Hindernis: Dass die
Gesellschaftsform erklärt werden muss, will man sie wegbekommen, weil sie eben
notwendig unangenehme Folgen zeitigt, heißt, dass man keinen Erfolg haben wird,
wenn man bloß die Folgen anprangert und ihr Verschwinden fordert.
Wer zur kapitalistischen Geschäftstätigkeit nichts
taugt, wird vom Staat als bloßer Kostenfaktor und Geschäftshindernis
wahrgenommen und entsprechend behandelt. Das bürgerliche Individuum, dem der
Kapitalismus als naturgesetzlich, dementsprechend auch dessen Folgen als
natürlich erscheinen, legt auch die unangenehmen Folgen für die Verlierer in
der Konkurrenz diesen Verlierern selbst zur Last und formuliert dieses Urteil
in oft derb-rassistischer Form. (Oder aber, sie finden diese Folgen ungerecht,
was ja auch nur meint, dass die Betroffenen ihr Schicksal gar nicht verdienten
und der gleichen Illusionen aufsitzen, dass der Lebenserfolg im Kapitalismus
irgendwas mit den individuellen Eigenschaften zu tun hätte – nur auf diesen
Maßstab bezogen kann ich die Konsequenzen nämlich ungerecht finden.)
Das rassistische Urteil meint nicht nur die
schadenfrohe Auszeichnung der Konkurrenzverlierer; es versteht sich tatsächlich
als Erklärung des Schicksals aus den Eigenschaften der ins Auge gefassten
Gruppe und ist als solche falsch, was immer dann auffällt, wenn Leute, die
bisher dem praktischen Rassismus von Staat und Ökonomie unterworfen waren,
plötzlich geschäftsfähig werden. Dass so was passieren könnte, gibt das rassistische
Urteil nämlich gar nicht her. (Da die rassistische Sortierung keine natürliche
Grundlage hat, sind es auch nicht dem rassistischen Urteil unterworfene Gruppen
als solche, die mit einem Mal Geschäftsfähigkeit erlangen oder verlieren – es
handelt sich vielmehr um Umbrüche innerhalb der Menge von Menschen, die der
Staat als Problem zusammengefasst hat: in der BRD wurden ›die Türken‹
(Anwerbung – Anwerbestopp – Familienzusammenführung – doppelte
Staatsbürgerschaft), ›die Neger‹ (GI´s – Roberto Blanko – Asylbetrüger), ›die
Serben‹ (vorzeitige Postkommunisten mit guter Küche – KZ-Wächter) und generell
›die Ausländer‹ (Kriegsgegner – Konkurrenten – Lohndrücker –
Computerspezialisten) ganz verschiedenen Bewertungen und Behandlungen
ausgesetzt.)
Der rassistische Staatsbürger muss also umlernen (das
ist er ja gewöhnt), will er nicht selbst mit unzeitgemäßen Überzeugungen zum
Standortnachteil werden. Das ist auch Vincente Fox klar. »Wir dürfen die
Indigenen nicht länger ignorieren und uns unfähig zeigen, die Armen und die
marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu integrieren. Die mexikanischen Indios
wurden rassistisch gedemütigt, sie wurden in Staat und Wirtschaft ausgegrenzt,
man verwehrte ihnen Bildung und Entwicklung und hinderte sie daran, sich als
freie und gleichberechtigte Bürger zu äußern.« (6) Denn wer so begierig
ist, dazuzugehören, den will man erstens nicht enttäuschen und der ist zweitens
auch keine Gefahr: »Niemand braucht sich wegen des Marsches der EZLN auf
Mexiko-Stadt Sorgen zu machen. Wir dürfen keine Angst davor haben, alle
Mexikaner in ein Projekt einzubinden, das Entwicklung für alle bedeuten soll.
Der Marsch wird friedlich vonstatten gehen, und wir müssen zu einem
Friedensabkommen für Chiapas gelangen.« (6) Ob sich dieser Auftrag erfüllen
lässt, hängt vom Nutzen der Einzubindenden ab und ist jedenfalls ein Problem,
an dem man gemeinsam arbeiten muss. In einem modernen Staat ist kein
Platz für Aufständische – da gibt es nur Staatsbürger und Terroristen.
Gerade weil ihnen ein gesellschaftspolitisches Konzept
fehlt, haben die Zapatisten einen so großen Erfolg. Tatsächlich basteln sie mit
Theorie und Praxis mit an einer neuen Ideologie für die Staaten der sogenannten
Peripherie. In diesem Sinne ist die EZLN nach Mexiko-City marschiert. Medienwirksam
war der Plan durchaus. Auf »demselben Weg nach Mexico-Stadt« marschieren
sie, »den während der mexikanischen Revolution von 1911 der berühmte Rebell
Emiliano Zapata genommen hatte« (taz, 16.3.2001) – unbewaffnet. Und
schließlich nehmen sie die Hauptstadt ein – unblutig und ohne Gewalt, statt
dessen werden sie »triumphal empfangen« (taz, 16.3.2001). So was kommt
gut an. Ein bisschen Rebellion bringt etwas Exotik ins triste Leben der
Industriegesellschaften und ist darum gern gesehen. Ein Einsatz für die Armen
und Entrechteten sowieso. Dass die Armen arm sind und dass die Landlosen kein
Land haben, leuchtet ein. Und so abstrakt gesehen ist auch Präsident Fox gerne
bereit, das für ein ›Problem‹ zu halten und den Einsatz des Robin Hoods aus dem
Urwald zu loben: »Der mexikanische Präsident Vincente Fox hat den
Protestmarsch der Zapatisten gegen Armut und Unterdrückung als Beweis für eine
lebendige Demokratie begrüßt.« (SZ, 12.3.2001) So wurde der triumphale
Empfang, der Marcos in Mexiko City bereitet wurde, noch zu einer Jubelfeier für
die mexikanische Demokratie.
Auf Zapatas Spuren sind sie aus Chiapas nach
Mexiko-City gezogen. Wie Zapata wollen sie, so wird betont, keine politische
Macht. Freilich, anders als der große Held, dem nachzueifern sie vorgeben, haben
die Zapatisten von heute es gar nicht in der Hand, die politische Macht
auszuüben oder nicht. Es ist kein Verzicht, der da ausgeübt wird, es ist eine
Selbstinszenierung als postmoderne Guerilla, die nicht mehr den Umsturz vorhat,
die nicht mehr die gute Gesellschaft bedroht, sondern die Hand in Hand mit den
Idealisten der Zivilgesellschaft vorgeht, nur mit andren Mitteln, nämlich sich
besinnend auf ihre Ursprünge im Kampf Robin Hoods für die Entrechteten. Der
Kampf der EZLN und der Marsch der Zapatisten ist darum, da hat Präsident Fox
schon recht, eine absolute Bereicherung für die Demokratie. Probleme
medienwirksam aufgezeigt zu haben, auf die Verantwortung hingewiesen zu haben,
die alle Mexikaner für ihre Nation zu übernehmen haben – das bleibt das Verdienst
der Zapatisten. Gelohnt wird es ihnen, indem man die üblichen polizeilichen
Maßnahmen zurückhält, die gewöhnlich fällig sind, wenn ein Staat seine
Souveränität verletzt sieht. Dieser Fall ist eine Ausnahme, egal wie hart der
mexikanische Staat in einem unbeobachteten Augeblick oder nach medialer
Destruktion der Zapatisten noch zuschlagen mag. Schließlich beginnt eine neue
Zeit in Mexiko. Nicht mehr die Interessen der verschiedenen Klassen und
Gruppen, die die PRI behauptet hat zu vermitteln, beherrschen die politische
Bühne – nur noch die Nation gibt es und deren Wohl. Und da an diesem
Wohl alle mitarbeiten wollen koste es,
was es wolle –o kann Mexiko eine rosigen Zukunft entgegensehen. Die Zurichtung
ihres Volkes wird der Nation jedenfalls bei der Bewährung im internationalen
Wettbewerb keine Steine in den Weg legen.(rfb)
Quellen
(1) Interview mit Marcos,
http://www.zmag.org/chiapas1/monsi1.htm
(2) Marcos, »Brief an die ehrlichen
mexikanischen Unternehmer«, nach Gruppe
Demontage, Postfordistische Guerrilla.
(3) Süddeutsche Zeitung, Dienstag, 13. März 2001.
(4) Marcos, Rede in Mexiko City am 11.3.2001
(5) Gruppe Demontage, Postfordistische
Guerrilla.
(6) Ignacio Ramonet, »Marcos großer Marsch«,
taz, 16.3.2001
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