1.Die Kultur als solche
Kunst und Kultur sollen einen Wert darstellen, sie wollen bewundert werden und sollen gar nicht für die Größe des menschlichen Geistes einstehen müssen. Die Kultur, meinen viele, wolle für sich selbst betrachtet werden.
Was ist dran?
Die Kunst, als solche, die
sich jenseits des ganzen Elends der Geschichte und der Gesellschaft festmachen
ließe, gibt es gar nicht. Kultur ist ohne ein paar Voraussetzungen nicht zu
haben, insbesondere nicht, solange die Gesellschaft in Klassen zerfällt. Kultur
braucht Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse die Kultur erst möglich
machen. Die materielle Arbeit muss ja getan werden, entsprechend der gerade
herrschenden Bedürfnisse, erst dann kann man sich an die Luxusproduktion
machen, zu der auch die Produktion der Kunstwerke gehört, die dann
paradigmatisch für die Kultur der Gesellschaft gelten sollen.
Waren die Pyramiden der
Ägypter, Homers Epen oder Pythagoras’ Geheimlehren „Kultur als solche“? Wohl
kaum. Sie setzten nämlich schon eine recht differenzierte und nicht sonderlich
gemütliche Gesellschaftsordnung voraus. Ohne Staat und Herrschaft wäre der Bau
der Pyramiden nicht zu machen gewesen, und zwar eine Herrschaft, die nicht
recht zimperlich mit den Zigtausenden umgehen durfte, die jahrzehntelang zum
Bau eingesetzt werden mussten. Ohne dem ideologischen Bedürfnis nach einer
Tradition, durch den sich die Gesellschaft von anderen abheben könnte, hätte es
keinen Mythos der Griechen gegeben; jedenfalls hätte er sich nicht
jahrhundertelang als verbindlicher Kanon auf allen kulturellen Veranstaltungen
gehalten, um noch nach ein paar Jahrtausenden als Sinnbild für eine
Gesellschaft zu gelten, in deren Tradition der bürgerliche Humanist sich gerne
versteht. Ohne die Klassengesellschaft hätte sich nie ein pythagoreischer
Geheimbund entwickeln können, der ganz selbstverständlich davon ausging, dass
die meisten Menschen allenfalls ein paar Lernsätze memorieren könnten, aber
völlig außerstande dazu seinen, eine Argumentation zu begreifen. Um überhaupt
auf eine solche Idee zu kommen, braucht es schon eine Gesellschaft, in der die
Masse der Menschen einer Herrschaft unterworfen ist, also gar nicht zu
begreifen hat (schon im Sinne der sozialen Effizienz), sondern auch eine
Gesellschaftsstruktur, die es sinnvoll erscheinen lässt, nur ein paar
Führungskräfte auszubilden.
Der Kulturtreibende und
–genießende sieht seit Platon Kultur, die um ihrer selbst willen betrieben
wird, als ein besonderes Gut weil ihn
eine solche Kultur über die drögen materiellen Zwänge erheben würde, denen er
unterworfen ist, denen er ab$er entkommen möchte. Aber auch damit ist es bei
dem anerkannten Kulturkanon nicht weit her. Die philosophischen Weisen haben
alle mehr oder minder ausdrücklich den Zweck verfolgt für das Gemeinwesen
brauchbare Bürger heranzubilden, der repräsentative Totenkult der Ägypter ist
auch kaum zweckfrei zu nennen und seine Epen mag Homer oder wer auch immer für
ihn gehalten wird, auch aus Gaudi geschrieben haben, aber gegenseitig
vorgelesen hätten die Griechen sich nicht, wenn sie nicht gedacht hätten, dass
sich in diesen Epen auch ihr Volkscharakter zeige. Die Funktion der Kunst ist
auch immer, diejenigen zu repräsentieren, die sie in Auftrag gegeben haben.
Das was uns dagegen
tatsächlich als „Kunst als solche“ vorgestellt wird, ist gar keine solche, weil
sie gar nicht als Kultur gilt. Sonntagskünstler sind eben keine echten, sondern
Dilettanten im schlechten Sinn des Wortes: solche die nachahmen, was ihnen
nachzuahmen nicht gelingt. Und die Versuche, die es in DDR wie BRD mit
„proletarischer“ Kunst gab, sind damals wie heute bloß Anlass zu Spott: Der
Versuch, Industriearbeiter zum schriftstellern zu bewegen, wurde als untauglich
erkannt. Weil „solche Leute“ das halt nicht können und man lieber auf ihre
Fasson selig werden lassen sollte und vor allem weil sie dazu auch gar nicht da
sind.
Bei Kunst dagegen, die ihre
Funktion erfüllt, zwischen guter und schlechter zu unterscheiden, ist Blödsinn.
Diese Unterscheidung findet nämlich in der Kunstproduktion gar nicht statt.
Kunst ist zunächst alles was Erfolg hat (wobei die Schulen weniger erfolgreicher
Nacheiferer unter das Vorbild des Trendsetters sich subsumieren lassen). Ein
besonderer Wert wird dem Kunstwerk dann erst in der Traditionspflege
zugemessen: Es wird danach beurteilt, ob es sich zur Repräsentation der Nation
eignet (wobei einer, der zuvor eher intellektuelle Identifikationsfigur der
Deutschen war, nach einem Sieg in der Literaturnobelpreiskonkurrenz es bis zum
Nationaldichter bringen kann) und dann danach in den Kanon eingeteilt, ob der
Bildungsbürger bloß seinen Namen zu kennen braucht (Hölderlin), ein paar
Gedichte oder Sprüche auswendig zu lernen hat (Goethe, Nietzsche) oder mit
einer Reihe von Sekundärliteratur zu versehen ist, durch deren Kenntnis der
Kunstliebhaber die Kunst erst richtig schätzen, seinen Geschmack als hochstehend
rechtfertigen und sich damit seiner elitären Rolle erfreuen kann.
2.Kultur macht Spaß
Mit dem Spaß, den Kunst und Kultur so bereitet ist es eine recht relative Sache. Davon kann jeder ein Lied singen, der sich an seine Schulzeit erinnern kann. Nicht nur, dass es schon komisch wirkt, mitunter, wenn einer den Deutschunterricht allzu sehr genießt, nicht nur dass es ganz einfach nicht darauf ankommt, ob der Schüler nun „Spaß“ an dem Zeug hat, dass er sowieso lernen muss – ein bisschen mehr, als bloß Spaß zu haben, ist schon gefragt, wenn es um Kultur geht.
Weil die Kunst die
Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat, auch repräsentieren soll, muss sie
auch als wertvoll gerechtfertigt werden. Zur Kunst gehört also immer auch die
Begründung, warum es denn Kunst ist (bzw. die Frage, ob etwas Kunst sei, bzw.
ob das denn überhaupt noch Kunst sei). Ginge es nur um das Vergnügen, das Kunst
bereiten soll, wäre diese Frage wohl überflüssig. Geht es aber eben nicht. Auch
der beliebigste und pluralistischste Künstler hat eine Sache als Gegenleistung
zu liefern, wenn er als Künstler leben will: Kunst nämlich, was hier keine
Tautologie meint, sondern die Tatsache, dass es der Gesellschaft eben recht
abstrakt auf Kunst (nicht unbedingt abstrakte Kunst) ankommt: etwas, das
wertvoll ist und sich in den Kanon eingliedern lässt, der Tradition zuschlagen
lässt – etwas also, auf das wir stolz sein können: und da kann dem größten
Reaktionär noch neben Goethe Thomas Mann Marx, Heine oder Büchner zum Beleg
dienen, welche Geistesgiganten wir schon hervorgebracht haben.
3.Kunst hat einen Inhalt
Wenn es schon nicht als Kriterium taugen darf, ob das Buch zu lesen Spaß gemacht hat, ob mir das Bild an der Wand gefällt, oder ich bei der Musik entspannter lesen kann, dann vielleicht deshalb, weil es bei der Kunst eben um etwas geht, ganz unabhängig davon, ob sie mir gefällt oder nicht?
Aber von dem Inhalt wird
gerade abgesehen. Sicher, wenn’s um Nietzsche geht, zitiert man gern mal ein
paar Aphorismen, die zur gegenwärtig angebrachten Verherrlichung des
europäischen Geistes passen und wenn Marx mal wieder seit einer runden Zahl von
Jahren tot ist, betont man nicht nur, dass die, die ihn zu ernst genommen
haben, viel Leid über uns gebracht haben, sondern man zitiert auch ganz gern
mal ein paar Sätze, die seine Sprachgewalt belegen und dass er sich schon
zurecht über Missstände aufgeregt hat. Aber von den Inhalten, die diese
kulturellen Kanoniker dann doch von sich gegeben haben, will keiner was wissen.
Die Gedanken von Marx oder Nietzsche, die recht ausführlichen Darstellungen von
seinen politischen Ideen, die Schiller in seine Dramen gepackt hat, von dem was
Maler, Filmemacher oder Plakatzeichner mit ihrer Kunst bewirken wollen, dienen
allenfalls als zu bewundernde Ausstellungsstücke; und kein Feuilleton bemüht
sich, herauszuarbeiten, welche Gedanken die Künstler nun bewegt habe und was
von denen zu halten sei.
4.Kultur ist gesellschaftskritisch
Kunst kann etwas darstellen,
was nicht ist, insofern könnte sie subversiv sein, weil sie sich mit dem
Bestehenden nicht abfindet, es nicht so lässt wie es ist. Damit verbindet sich
aber gerade kein Aufruf zur Veränderung, sondern die Utopie bleibt in der Kunst
oder dringt nicht in die Wirklichkeit vor. Was sich mit der ach so subversiven
Kunst also verbindet ist bloß der
kulturelle Genuss. Und diesen Genuss gibt es noch bei allen Formen der Kunst,
egal ob sie nun von einer heilen Welt träumt, oder soziale Missstände oder
Elend anprangert – der Kulturmensch genießt.
5.Kultur lässt sich alternativ betreiben
Kultur, die nicht ideell und
materiell verkäuflich ist, ist eben keine.
Insofern dass alternative
Kunst als Kunst gilt, also erfolgreich ist, ist sie nicht mehr alternativ,
sondern erfüllt genau den genannten Zweck jeder Kunst.
6.Kultur ist ein Maß für die Gesellschaft
Ob es Kunst gibt und wie
umfangreich die in einer Gesellschaft ausfällt ist eine recht relative Sache.
Kultur setzt nämlich nicht nur voraus, dass die Produktivkräfte weit genug
entwickelt sind, damit ein Teil der Arbeitszeit auf im materiellen Sinn
unproduktive Arbeit gesteckt werden kann. Sie setzt auch voraus, dass die
Produktionsverhältnisse einen Teil der Menschen dafür freisetzt, Kunst zu
genießen und einen weiteren Teil Kunst zu schaffen.
Dennoch muss die Kultur
regelmäßig als Maß dafür herhalten, was von der Gesellschaft, die sie
hervorgebracht hat, zu halten ist und an den frühen Hochkulturen haben wir zu
bewundern, dass sie soviel Blut und Schweiß in ihre Tempel, Paläste und
Mausoleen gesteckt haben, dass noch heute was davon zu bestaunen ist und zu
ignorieren, dass keiner von denen der dafür Steine schleppen musste, von seiner
Hochkultur was hatte.
Die Sortierung vergangener
Gesellschaften danach, wie viel kulturelles Sammelsurium sie angehäuft haben,
ist aber schon folgerichtig: Schließlich sollen sich die Leute auf die Kultur,
auf die sich ihre Nation beruft, und die sie in ihre Tradition einordnen kann,
ordentlich was einbilden. Je mehr davon vorhanden ist, desto besser. Keine
Nation verzichtet auf ihre kulturelle Selbstdarstellung, von ihrer expliziten
Verherrlichung in Lobeshymnen, über die für ihre Priester, ihre toten und ihre
lebenden Herrscher errichteten Baudenkmälern, bis hin zu den Dicht- und
Malkunstwerken, die natürlich immer das hohe kulturelle Niveau einer Nation belegen
sollen.
Fällt die eigene Kultur etwas
aus dem Rahmen und würde international allenfalls als Kitsch durchgehen
(Wagner), kann man sie mit dem Anspruch die eigene Zurückgebliebenheit als
Besonderheit des Volkscharakters umzudeuten, als besonders authentische und
un-dekadente Kunst präsentieren.
7.Kunst ist politisch
Lenin wollte die
Parteiliteratur zu einem Rädchen und Schräubchen im Getriebe der
kommunistischen Partei machen. Das wurde ihm dann als Leitfaden für eine
Kulturpolitik ausgelegt, und schon mussten sich alle Dichter und Erzähler und
letztlich auch alle Maler, Bildhauer und Architekten einem Prinzip unterwerfen,
dass ursprünglich nichts anderes als eine Aufforderung an linke Intellektuelle
war, sich nicht schön pluralistisch in unverbindlichen politischen Ergüssen zu
ergehen und auf ihrem Individualismus und der dazugehörigen Meinung zu
beharren, sondern als Werkzeug der Partei das zu vermitteln, was inhaltlich in
der Partei diskutiert und geklärt worden war. Und damit sahen sich Künstler vor
das Problem gestellt, den Sozialismus zu vermitteln, ohne sachlich Argumente
darzulegen. Weil das nicht geht, haben die realsozialistischen Funktionäre
Kunst- und Kulturschaffende nach dem Kriterium ausgewählt und instruiert, dass
sie zum Wohl ihres Landes beitragen; also gerade den Zweck durchgesetzt, den
Kultur im freien Westen ohnehin hatte.
Um Inhalte, ob sie nun revolutionäre oder konterrevolutionär ausfallen, geht’s also bei der Kultur nicht; dafür taugt sie auch nicht. Die Kultur hat auch, wie gesagt, nicht als Kriterium ob sie Spaß macht. Kultur ist Kultur einer Nation und wird als solche einsortiert. Wer nun meint, Kultur sollte eigentlich was anderes sein, verkennt, dass der Kulturbetrieb unserer Nation, anderes eben nicht als Kultur gelten lässt. (fb)